Brauchen wir eine Bürgerversicherung? – Eine kontroverse Debatte
Die Diskussion um die Einführung einer Bürgerversicherung, bei der alle Bürger in ein einheitliches Versicherungssystem einzahlen, wird im Vorfeld der Bundestagswahl erneut intensiv geführt. Laut Prof. Dr. Heinz Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Bremen, könnte eine solche Einheitskasse bestehende Ungerechtigkeiten im deutschen Gesundheitssystem beseitigen. Deutschland ist das einzige OECD-Land, in dem eine substitutive Krankenversicherung existiert, die es ermöglicht, das gesetzliche System zu verlassen und eine private Krankenvollversicherung abzuschließen. Dies ist jedoch nur bestimmten Gruppen wie Selbstständigen, Beamten und einkommensstarken Angestellten vorbehalten, was laut Rothgang zu erheblichen Gerechtigkeitsproblemen führt. Er argumentiert, dass die Einkommenssolidarität verletzt wird, da Privatversicherte im Durchschnitt ein doppelt so hohes Einkommen wie gesetzlich Versicherte haben und sich dennoch der Solidarität entziehen.
Ein weiteres Problem sieht Rothgang in der Risikostruktur der privaten Krankenversicherung (PKV). Diese weist eine günstigere Alters-, Geschlechter- und Morbiditätsstruktur auf, da vor allem gesunde Versicherte in die PKV eintreten. Dies führt dazu, dass die Ausgaben für eine sozialversicherte Person doppelt so hoch sind wie für eine privatversicherte Person. Zudem kritisiert er, dass höhere Einkommen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 5.512,50 Euro monatlich verbeitragt werden, während Einkommen aus Kapitalerträgen oder Vermietung komplett unberücksichtigt bleiben. Eine Bürgerversicherung, die alle Einkommensarten einbezieht und die Beitragsbemessungsgrenze anhebt, könnte diese Ungerechtigkeiten laut Rothgang beseitigen und die Finanzierung des Gesundheitssystems nachhaltig stabilisieren. (Quelle: procontra-online, Artikel: "Brauchen wir eine Bürgerversicherung?")
Peter Abend, Sprecher der Betriebsratsinitiative „Bürgerversicherung? Nein danke!“ und Betriebsratsvorsitzender der Gothaer Krankenversicherung AG, sieht die Einführung einer Bürgerversicherung hingegen kritisch. Er betont, dass das deutsche Gesundheitssystem auf zwei stabilen Säulen basiert: der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten Krankenversicherung (PKV). Rund 90 Prozent der Bevölkerung sind gesetzlich und 10 Prozent privat versichert. Die PKV finanziert etwa 20 Prozent der jährlichen Gesundheitsausgaben, darunter 12,3 Milliarden Euro, die als Mehreinnahmen der Ärzteschaft zugutekommen. Diese Gelder fließen in Krankenhäuser, Arztpraxen und das dort beschäftigte Personal. Abend warnt, dass der Wegfall der PKV als eigenständige Säule zu erheblichen finanziellen Einbußen und Arbeitsplatzverlusten führen würde. Studien zufolge könnten bis zu 75.000 Arbeitsplätze in der PKV sowie weitere tausende Stellen in der Gesundheitsbranche betroffen sein.
Darüber hinaus weist Abend darauf hin, dass die gesetzlichen Krankenkassen aufgrund des demografischen Wandels zunehmend unter Druck geraten. Bis 2035 wird es rund 21 Millionen Menschen über 67 Jahre geben, während die Zahl der Beschäftigten um 5,8 Millionen sinkt. Dies führt dazu, dass immer weniger Beitragszahler die Versorgung einer wachsenden Zahl älterer Menschen finanzieren müssen. Abend plädiert daher für den Erhalt des dualen Systems und schlägt vor, Anreize für private Gesundheitsvorsorge zu schaffen, beispielsweise durch steuerliche Vorteile für betriebliche Krankenversicherungsprodukte. Zudem könnten gesetzliche Anpassungen dazu beitragen, die teilweise zweistelligen Beitragserhöhungen in der PKV zu vermeiden. (Quelle: procontra-online, Artikel: "Brauchen wir eine Bürgerversicherung?")
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